Minderjährige Studienanfänger als Herausforderung für Hochschulen

Sie stehen für eine ganz neue Generation: minderjährige Studienanfänger. Seit Herbst 2011 schreiben sich nach einer neuen Regelung auch Abiturienten an den Unis ein, die ihre Schullaufbahn bereits nach der zwölften Klasse beendet haben – und das führt zu bisher unbekannten Herausforderungen.

Das sogenannte “achtjährige Gymnasium” oder auch “G8” wurde neuerdings in fast allen Bundesländern wieder eingeführt. Damit soll die Gesamtschulzeit an die Gegebenheiten in anderen Ländern angepasst werden.

Abi nach Klasse 12

Die Unterrichtskonzepte waren nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zunächst nicht einheitlich: Die BRD ging zu dreizehn Jahren Unterricht bis zum Abitur über, die DDR zu zwölf Jahren.

Nach der Wende änderte man dies für ein paar Jahre, bis im Jahr 2000 wieder alle neuen Bundesländer das kürzere System einführten. Seit 2007 ziehen die alten Bundesländer nach, auch wenn die Umsetzung noch nicht überall abgeschlossen ist.

Vor- und Nachteile der Schulzeitverkürzung

Zu den Vorteilen zählt auf jeden Fall, dass auch deutsche Schüler jetzt relativ früh mit dem Studium beginnen und nach dessen Abschluss ein Jahr früher Geld verdienen können. Damit passen sie sich den meisten europäischen Ländern an.

Auch die Wirtschaft profitiert von jüngeren Berufseinsteigern. Da die Bevölkerung demografisch gesehen immer älter wird, muss die Lebensarbeitszeit jedes Einzelnen verlängert werden. Das kann mit einem früheren Berufseinstieg und einem späteren Renteneintrittsalter erreicht werden.

Als Nachteil lässt sich auf jeden Fall die nötige Verdichtung des Unterrichtsstoffs sehen, der ja plötzlich in einem Jahr weniger “durchgezogen” werden muss. Infolge dessen müssen Gymnasiasten heute im Durchschnitt etwa 33 anstelle von 30 Wochenstunden absolvieren, was bereits zu heftigen Protesten seitens der Eltern geführt hat.

Immer mehr Schüler benötigen Nachhilfe; von etwa 9,5 Millionen Schülern an allgemeinbildenden Schulen nahmen im Jahr 2010 schätzungsweise 11 bis 16 Prozent Nachhilfeangebote in Anspruch. Darunter leiden auch Hobbys, die andernfalls in der Freizeit ausgeübt werden.

Startschwierigkeiten

Naturgemäß gibt es hier wie bei jeder Umstellung Startschwierigkeiten, die zunächst gelöst werden müssen – denn wenn aufgrund der Probleme mehr Schüler Klassen wiederholen müssen, bewirkt die Schulzeitverkürzung erst einmal gar nichts.

In den Zusammenhang wurde auch eine Kürzung der Inhalte und die Ausdehnung des Unterrichts auf den Samstag vorgeschlagen, was aber beides abgeschmettert werden konnte.

Der Unterschied zu anderen Ländern ist, dass diejenigen mit einem zwölfjährigen Schulsystem Ganztagsschulen mit Mensa und Nachmittagsbetreuung anbieten. Mit einer solchen Struktur lässt sich der Schultag sehr gut entzerren, und es können nachmittags sogar freiwillige Zusatzangebote integriert werden. Die Kultusministerkonferenz hat bereits angekündigt, sich konkrete Gedanken zur Entschärfung der momentanen Situation zu machen.

Herausforderungen für Hochschulen und Studenten

Auch auf die Hochschulen kommen neue Herausforderungen zu: Sie müssen nicht nur mit einem wesentlich größeren Ansturm fertig werden, sondern auch mit vielen minderjährigen Studenten. Neben der verkürzten Schulzeit ist auch die Abschaffung der Wehrpflicht hierfür ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Das bedeutet ganz konkret, dass angehende Studenten, die noch keine 18 Jahre alt sind, viele offizielle Dinge noch nicht ohne Einwilligung von Erziehungsberechtigten entscheiden dürfen. Das führt allein schon zu logistischen Problemen bei den Unis, aber auch die Abiturienten haben es nicht leicht.

Angefangen bei der Einschreibung über das Abschließen eines Miet- oder Telefonvertrags bis hin zu abendlichen Kennenlerntreffen der zukünftigen Erstsemester-Kommilitonen in der Kneipe – was so einfach klingt, ist nicht gerade unkompliziert, wenn Sie aufgrund Ihrer Minderjährigkeit noch nicht alles tun und lassen dürfen. Vor allem Vermieter sind bei so jungen Leuten, die noch kein eigenes Geld verdienen, eher skeptisch, aber da hilft oft schon die Begleitung von Mama und/oder Papa.

Auch der Aufwand für die andere Seite ist groß, so müssen von Seiten der Uni zum Beispiel verstärkt Kontrolleure auf Unipartys eingestellt werden, die darauf achten, dass die Besucher nicht zu jung sind bzw. keinen harten Alkohol zu sich nehmen.

Nicht einmal der Antrag auf einen Bibliotheksausweis ist Ihnen gestattet, sondern die Bibliotheken müssen sogar noch spezielle Sperren in ihre Computer einbauen, damit Sie sich nicht (absichtlich oder aus Versehen) pornografische Inhalte ansehen können.

Auch die Vertragsunterzeichnung für einen Nebenjob, mit dem Sie sich Geld dazu verdienen können, ist nicht so einfach möglich.

Einige Unis machen es sich einfacher

Um diese ganzen kleineren Hindernisse zu umgehen, die sich zu einem großen Berg akkumulieren, haben viele Unis eine allumfassende “Elterninformation zum Studium ihrer minderjährigen Kinder” erstellt. Dieses Schriftstück muss von Ihren Eltern bereits im Vorfeld als Generalvollmacht zu Hause unterzeichnet werden.

Andere ändern ihre Einschreibeordnungen. Unter diesen Hochschulen ist zum Beispiel auch die Uni Münster, an der sich zum Wintersemester 2012/2013 etwa 300 Minderjährige einschreiben werden.

Auswirkungen auf die Studenten

Ein angenehmer Nebeneffekt ist es, dass Sie damit dann alleine zur Immatrikulation kommen können. Vielen Erstsemestern ist es unangenehm, neben all den neuen Eindrücken, die auf sie einstürmen, in Begleitung der Eltern auch noch direkt als “Kind” angesehen zu werden.

Trotz dieses einfachen Einstiegs ist es für minderjährige Studenten dann häufig schwierig, Anschluss zu finden. Viele überfüllte Veranstaltungen oder abendliche Treffen überfordern die gerade erst “aus dem Nest geschlüpften” Erstsemester.

Das Gute ist, dass sich das Problem bei Abiturienten meistens im ersten oder zweiten Semester mit dem nächsten Geburtstag von selbst löst – anders als zum Beispiel bei sogenannten “Hochbegabten”, die Klassen überspringen und daher früh anfangen zu studieren, aber auch als totale Ausnahme gelten.

Bisher gibt es zum Beispiel in Münster von ihnen lediglich etwa ein Dutzend, in Hamburg 33, und noch vor zehn Jahren lag ihre Gesamtzahl laut Statistischem Bundesamt für die gesamte Bundesrepublik bei nur 233 Personen. Dies wird sich allerdings demnächst ändern, wenn alle Bundesländer das achtjährige Abitur eingeführt haben: Die Schätzungen für das Sommersemester 2012 liegen bei 4000 minderjährigen Studenten, die sich einschreiben werden.

Insgesamt sehen die Verantwortlichen dem Ansturm der Minderjährigen eher gelassen entgegen, denn sie werden relativ schnell volljährig sein – problematisch sind vielmehr die explodierenden Gesamtzahlen der Erstsemester.

Weiterführende Links

Statistisches Bundesamt – Zahlen und Fakten

Fabian Köhler